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Therapy-Slang: Bindungsstörung

| Allgemeines, Führungskräfte, Mitarbeiter,

 

Vielleicht haben Sie auch schon einmal im Bekanntenkreis den Satz vernommen oder etwas Ähnliches gedacht wie „Ich kann mich nicht binden.“, „Für Beziehungen bin ich nicht gemacht.“ oder „So viel Nähe ist für mich einfach nichts.“

 

Dabei fing doch alles wunderbar an. Der Himmel hing voller Geigen, Schmetterlinge flatterten im Bauch, und der Blick auf die Welt war rosa gefärbt. Doch nach einiger Zeit machten sich die ersten Zweifel breit. Die Nähe wird als unerträglich und einengend empfunden, der Rückzug wird angetreten. Manchmal auch die Beziehung abrupt beendet. Aber ach, eigentlich ist das Zusammensein doch auch ganz schön. Und so weiter…

 

Nicht nur für das Paar, auch für das Umfeld ist dieses Auf und Ab, das Hin und Her nicht immer ganz einfach nachzuvollziehen. Und so hegt sicherlich mancher oder manche den Verdacht, dass bei so einem Verhalten eine Bindungsstörung vorliegen muss.

 

Bindungsstörung und Bindungsangst werden bei Erwachsenen in der Alltagssprache oft simultan verwendet. Wenn von Bindungsstörung gesprochen wird, bezieht sich das meist auf eine extreme Ausprägung des Nähe-Distanz-Bedürfnisses eines Menschen, das zu Verhaltensweisen führt, die eine ausgeglichene Beziehungs-Dynamik nahezu unmöglich machen. Große Verlustangst, der durch übermäßiges Klammern begegnet wird oder ein unverhältnismäßiger Einsatz für eine offensichtlich aussichtslose Beziehung oder ein ehrgeiziges Bemühen um einen Partner oder Partnerin in unerreichbarer Ferne.

 

Bindungsangst zeigt sich meist in einem außerordentlichen Streben nach Autonomie, in einem besonders ausgeprägten Wunsch nach Selbstkontrolle und einer übermäßigen Angst vor Fremdbestimmung. Das Aufgehen des eigenen Ichs in einem Wir – für viele das Ideal einer Beziehung - für manche aber geradezu eine Horrorvorstellung.

 

Zwischen Bindungsangst und -störung gibt es Unterschiede und dennoch kann der Übergang fließend sein. Die Ursachen für eine Bindungsthematik liegen meist in der frühen Kindheit. Unsere ersten Bindungen prägen unser Bindungsverhalten. Sie können Sicherheit und Vertrauen geben, können aber auch Ängste schüren und Ambivalenzen hervorrufen.

 

Betroffene mit einer Bindungsstörung leiden meist unter einem mangelnden Selbstwertgefühl, werden von der großen Sorge begleitet, von anderen enttäuscht, verlassen oder übersehen zu werden, empfinden sich oft als beziehungsunfähig und können nur schwer Vertrauen fassen.

 

Bei der Bindungsstörung handelt es sich medizinisch gesehen um ein pathologisches Beziehungsmuster von Kindern gegenüber ihren Bezugspersonen. Nach dem ICD-11 unterscheidet man die “Reaktive Bindungsstörung des Kindesalters (F94.1)” und die “Bindungsstörung des Kindesalters mit Enthemmung (F94.2)”. Beide Störungen werden unter der Kategorie “Verhaltens- und emotionale Störung mit Beginn in der Kindheit und Jugend” aufgeführt.

 

Ursachen für Bindungsstörungen von Kindern sind Vernachlässigung, das Fehlen von Rückhalt, Geborgenheit und emotionaler Nähe. Auch traumatische Erlebnisse können zu Bindungsstörungen führen. „Bindungsstörung bei Erwachsenen entwickelt sich meist aus einer kindlichen Form der Bindungsstörung.“ [1]

 

In der Regel sollte bei einer Bindungsstörung dann Hilfe gesucht werden, wenn es zu starken Einschränkungen im Alltag und im Leben der Betroffenen kommt. Nicht selten kann es zu begleitenden psychischen Beschwerden kommen, die die Lebensqualität massiv beeinträchtigen.

 

Aus meiner Erfahrung als Kinder- und Jugendpsychotherapeutin weiß ich, dass uns das Thema Bindung alle auf unterschiedliche Weise beschäftigt. In der EAP-Beratung begegnet mir das Thema Bindung in verschiedenen Lebensphasen. Aus tiefenpsychologischer Sicht prägen unsere ersten Bindungserfahrungen unsere folgenden Beziehungsmuster. Es macht mir Spaß in der EAP-Beratung gemeinsam mit dem Klienten individuell über die eigenen ersten Beziehungsmuster zu sprechen und zu schauen wie diese das heutige Handeln prägen.“, so Kathrin Guist.

 

Vor nicht allzu langer Zeit wurde das Buch „Generation beziehungsunfähig“ veröffentlicht. Aber hat eine solche Pauschalisierung ihre Berechtigung, außer Marketinggründe? „Beziehungsunfähig werden Menschen sicher nicht“, so Professor Dr. Franz Neyer, der das Institut für Psychologie an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena leitet. „Jeder sucht und braucht jemanden, der ein emotionaler Anker ist, der einen begleitet, beschützt, jemanden, der sich mit einem freut und leidet.“[2]

 

Neyer erforscht, wie die Persönlichkeit eines Menschen seine Beziehungen prägt – und umgekehrt. Er bezieht sich bei seiner Antwort auf die Auswertung der vorliegenden Daten aus der Langzeitstudie pairfam.[3] Zwar könne sich die Art der Bindung ändern, also der Bindungsstil: Menschen werden etwa nach einer schmerzhaften Trennung entweder vorsichtiger und ängstlicher, wenn es um Beziehungen geht, oder aber sie agieren selbstbezogener und arbeiten mit Vermeidungsstrategien. Aber das gelte dann nur für Einzelne – nicht für eine ganze Generation.[4]

 

Vielleicht lässt sich am ehesten festhalten, dass man selbst oder das Umfeld dann den Eindruck von einer Bindungsstörung hat, wenn Menschen mit unterschiedlich ausgeprägten Bindungssystemen aufeinandertreffen. Also wenn etwa das Bedürfnis nach viel Nähe und Verschmelzung auf den Wunsch nach Autonomie und Selbstbestimmung treffen. Aber gleich eine Störung konstatieren? Nein! Zunächst sind es erst einmal unterschiedliche Bedürfnisse, die gegebenenfalls nicht kompatibel scheinen.

 

Wichtig ist in einer Beziehung das „in Beziehung bleiben“. Themen, Wünsche, Bedürfnisse offen zu besprechen und sich nicht einzumauern. Wer sich in einer Beziehung immer zurück zieht und hofft der Gegenüber errate die eigenen Bedürfnisse, begegnet seinem Partner nicht auf Augenhöhe. Und dennoch kennen wir alle solche Situationen, in denen wir uns wünschen, dass unser Gegenüber uns unsere Wünsche von der Stirn abliest. In einer Partnerschaft geht es aber auch um das sich gegenseitig Zutrauen und Anvertrauen, um das gemeinsame Sein und gemeinsam an Themen wachsen. Dann kann die Beziehung wachsen und wir uns binden.

 


[1]https://medlexi.de/Bindungsst%C3%B6rung

und www.aerzteblatt.de/archiv/172529/John-Bowlby-Pionier-der-Bindungsforschung

[2]https://www.welt.de/gesundheit/psychologie/article154047201/Ist-die-wahre-Liebe-noch-zu-retten.html,

[3]

www.pairfam.de

[4]

www.psychologie-heute.de/beziehung/artikel-detailansicht/42397-was-wissen-wir-ueber-das-beziehungsleben-der-deutschen.html