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Arbeiten in unsicheren Zeiten

| Allgemeines, Führungskräfte, Mitarbeiter,

 

Die letzten Jahre haben uns allen einiges abverlangt. Eine Pandemie, ein Krieg in Europa, steigende Strom- und Gaspreise, Inflation. Der stetige Wandel ist aus unserem Leben nicht mehr weg zu denken, und wir müssen uns ständig an neue Abläufe, Strukturen und Veränderungen anpassen. In diesem Interview mit Latifa Baddour, Senior Beraterin Kundenberatung & Learning bei INSITE, beleuchten wir diese Veränderungen mithilfe Ihrer Praxiserfahrung und geben Tipps, wie Unternehmen ihre Mitarbeitenden in schwierigen Zeiten unterstützen können.

 

In Ihrer Tätigkeit, haben Sie ja täglich mit vielen Personen aus den unterschiedlichsten Branchen und den unterschiedlichsten Tätigkeiten zu tun. Ihrer Beobachtung, haben die Entwicklungen der letzten Jahre etwas mit den Menschen gemacht? Was haben Sie festgestellt?

 

Sowohl die Pandemie, die für uns alle einen Ausnahmezustand darstellte, als auch die darauffolgenden Krisen waren insbesondere für die Menschen, die sich bereits zuvor in einer gesundheitlichen Schieflage befanden, eine enorme Herausforderung. Bei vielen Menschen haben sich körperliche oder psychische Probleme durch die Krisen intensiviert und konnten teilweise nicht rechtzeitig oder ausreichend behandelt werden.

In der Beratungspraxis war zunächst ein Anstieg an Anliegen in den Bereichen Ängste, Süchte (insbesondere Alkoholmissbrauch) und Erschöpfung zu bemerken. Seit einiger Zeit gibt es eine Häufung an Klientinnen und Klienten, die bereits Behandlungsversuche hinter sich haben oder sich noch in Behandlung befinden, allerdings wenig oder keine Linderung erfahren. Dadurch stellt sich eine gewisse Hilflosigkeit und manchmal auch Verzweiflung ein.

 

Wie äußert sich diese Situation konkret im betrieblichen Alltag, sowohl für die belasteten Mitarbeitenden selbst als auch für Kolleginnen und Kollegen sowie Führungskräfte?

 

In Gesprächen mit Unternehmen stellen wir fest, dass der betriebliche Alltag für die von Belastung Betroffenen selbst, als auch für Kolleginnen und Kollegen und insbesondere Führungskräfte herausfordernder wird. Es besteht oftmals eine Unsicherheit darüber, wie am besten mit belasteten Mitarbeitenden umzugehen ist, um sie nicht zu überfordern bzw. um sie bestmöglich zu unterstützen.

Neben der Unklarheit bzw. Unsicherheit im Umgang mit belasteten Mitarbeitenden, entstehen gerade dadurch auch immer wieder Schieflagen im Team oder Konflikte der Teammitglieder:innen untereinander, da die Minderleistung bzw. der Ausfall der betroffenen Personen irgendwie kompensiert werden muss. Auch eine steigende Zahl an Langzeiterkrankten und der Fachkräftemangel, der immer spürbarer wird, tragen ebenfalls dazu bei, dass der betriebliche Alltag von vielen Mitarbeitenden als sehr belastend erlebt wird. 

 

Was macht unsichere Krisensituationen so besonders im Vergleich zu anderen Belastungssituationen?

 

Eine Krise zeichnet sich dadurch aus, dass es zu fremdbestimmten Veränderungen ohne klaren Ausgang kommt. In der Regel ist eine Krise damit verbunden, dass wir Vertrautes, Altbewährtes verlieren und uns auf eine unklare, unsichere Zukunft einlassen müssen. Eine Krise verlangt von uns, uns selbst zu verändern und uns den veränderten Bedingungen anzupassen.

Dies kann bedrohlich auf uns wirken und zu Frust, Enttäuschung oder Resignation führen, da wir nicht gefragt werden, ob wir diese Veränderungen überhaupt wollen, und zunächst einmal auch nicht wissen, was genau und wie wir etwas verändern sollen. Es stellt sich also häufig eine Ratlosigkeit und Orientierungslosigkeit ein, die dadurch, im Vergleich zu anderen Belastungssituationen, herausfordernder sein kann.

 

Was können Unternehmen tun, um hier aktiv ihre Mitarbeitenden zu unterstützen? Was brauchen die Mitarbeitenden von ihrem Unternehmen?

 

Unternehmen können grundsätzlich für ein gesundheitsorientiertes Arbeitsumfeld sorgen. Das heißt, sie können Bedingungen schaffen, die es Mitarbeitenden ermöglicht, bei ihrer Arbeit gesund zu bleiben. Ganz konkret bedeutet das zum Beispiel: Für ausreichend Personal zu sorgen, Unterstützung bei Überlastung anzubieten und eine Führungs- und Unternehmenskultur zu etablieren, in der Respekt, gegenseitige Wertschätzung und Unterstützung gelebt wird.

Zudem können Unternehmen durch ein solides BGM (Betriebliches Gesundheitsmanagement) einen wesentlichen Beitrag zur psychischen Gesundheit von Mitarbeitenden in unsicheren Zeiten leisten, da sie zur Reduktion von Orientierungslosigkeit und Belastung beitragen. Das BGM umfasst u. a. Gesundheitsprogramme und -veranstaltungen zu Themen wie Umgang mit Krisensituationen und belastenden Ereignissen, Stressbewältigung, Schlafgesundheit oder das frühzeitige Erkennen von Überlastung bei einem selbst. Dabei kann auch die die psychologische Einzelberatung, z. B. durch ein Mitarbeiterunterstützungsprogramm wie das EAP (Employee Assistance Program) ein großer Wirkfaktor sein.

Auch die Schulung von Führungskräften in gesundem Führungsverhalten und dem Umgang mit belasteten Mitarbeitenden stellt in diesem Zusammenhang eine wichtige Säule dar.

Ein gut funktionierendes BEM (Betriebliches Eingliederungsmanagement), welches langzeiterkrankte Mitarbeitende darin unterstützt in Ihrer Arbeit wieder Fuß zu fassen und wieder gesund zu arbeiten, ist ebenfalls ein wichtiger Baustein eines guten Gesundheitsmanagementsystems in Unternehmen generell und insbesondere in unsicheren Zeiten.

 

Und welche Schlüsselkompetenzen gibt es vielleicht, die man als Arbeitgeber fördern kann?

 

Wichtige Kompetenzen, die es heute braucht, um in unserer sehr dynamischen Arbeitswelt bestehen zu können sind z B. die Fähigkeit sich selbst gut zu organisieren, im Homeoffice wie auch im Office, seine Kräfte gut einzuteilen, Entscheidungen zu treffen, mit Veränderungen umzugehen, sowie seine eigene Erholungsfähigkeit zu erhalten.

Hier können Arbeitgeber intellektuell unterstützen, z. B. durch Seminare, Webinare oder Workshops. Durch Herstellung einer guten Arbeitsumgebung können Arbeitgeber auch sozial unterstützen durch Tandem-Arbeiten, kollegiale Beratung und die Vorbildfunktion der Führungskräfte.

 

Was können Führungskräfte ganz konkret tun, um ihre Mitarbeitenden in dieser Zeit zu unterstützen?

 

Den Kontakt zu allen Teammitgliedern halten und pflegen, nahe dran sein an jedem Einzelnen und  flexibel auf die individuellen Bedürfnisse und Anforderungen der Mitarbeitenden eingehen.

Als Führungskraft sollte ich mir die Frage stellen: Was genau braucht der/die einzelne Mitarbeitende, um gut arbeiten zu können? Es können flexiblere Arbeitszeiten, mehr Homeoffice oder mehr Office-Tätigkeit, ein Sprachkurs oder eine IT-Schulung oder vielleicht eine EAP-Beratung sein.

 

Was können wir selbst tun? Für uns und vielleicht auch für unsere Kolleginnen und Kollegen?

 

Es ist wichtig, dass wir unsere Erholungsfähigkeit erhalten. Stressige Phasen wird es immer geben und die allermeisten von uns können auch gut damit umgehen, dass sie eine Zeit lang stärker gefordert sind. Auf eine herausfordernde Zeit sollte aber immer eine Zeit der Regeneration folgen. Wir können z. B. auf Frühwarnsignale für Überlastung achten, wie anhaltende Gereiztheit, Konzentrationsprobleme, und damit verbunden die Häufung von Fehlern, oder Schlafprobleme über einen längeren Zeitraum. Wenn wir in der Lage sind diese Warnsignale bei uns oder bei anderen wahrzunehmen, und sie auch als solche zu deuten, dann haben wir einen wesentlichen Schritt geschafft. Denn häufig bringt uns eher der Umstand, dass wir Frühwarnsignale nicht erkennen oder nicht ernst nehmen, in eine dauerhaft gesundheitliche Schieflage.

In einer akuten Situation, in der wir Unsicherheit oder Angst auch körperlich fühlen, können wir uns z. B. durch Atemtechniken oder Bewegung beruhigen. Mittelfristig ist zu empfehlen, sowohl Entspannungstechniken (wie z. B. PME, Autogenes Training, Meditation, Achtsamkeitsübungen oder Ähnliches) als auch Bewegung in den eigenen Alltag regelmäßig einzuplanen. Dazu gibt es vielfältige Anregungen auf www.insite.de oder auf den Seiten der Krankenkassen.

Um Ratlosigkeit und Orientierungslosigkeit in unsicheren Zeiten entgegen zu wirken, kann es auch hilfreich sein, diese durch Expertise zu reduzieren. Mitarbeitende, die z. B. ein Webinar zum Umgang mit Unsicherheit, Umgang mit Veränderungen oder Umgang mit Krisensituationen besuchten, berichteten z. B., dass ihnen dieses neu gewonnene Wissen helfe, ihre eigene Situation besser zu verorten, Maßnahmen für sich abzuleiten, um Herausforderungen zu bewältigen und einen Weg aus dem Gefühl der Orientierungslosigkeit zu finden.

Eine hohe Wirksamkeit, auch in wissenschaftlichen Studien belegt, hat zudem auch soziale Unterstützung. Menschen in meinem Umfeld, mit denen ich meine Sorgen und Gedanken teilen kann, die mich so annehmen, wie ich bin, und mich unterstützen, sind in schwierigen Zeiten sehr wichtig, weshalb es bedeutsam ist, diese Kontakte zu pflegen und zu erhalten.