Therapy-Slang: Hochsensibel

Hochsensibilität, auch Hypersensibilität genannt, ist ein Begriff, der uns im Alltag immer häufiger begegnet. Und zwar auf dreifache Weise.

Zum ersten erleben wir Menschen, die sich von der Bewältigung des Alltags überfordert fühlen. Äußerem Chaos, greller Beleuchtung, Zeitdruck, Gedränge oder vielleicht auch einem lauten Wort begegnen sie mit Sätzen wie „Ich ertrage das nicht.“ oder „Das überfordert mich alles.“ Auch starke Reaktionen wie Rückzug, Schweigen, sogar Kontaktabbruch werden gelegentlich damit erklärt.

Zum zweiten halten wir Menschen mit einer hohen Sensitivität oft für (zu) zart besaitet, für empfindlich oder gar verweichlicht für die Härten des normalen Lebens. Sie als Mimosen zu bezeichnen, passiert häufig.

Und zum dritten gibt es tatsächlich Menschen, die besonders reizempfindsam sind. Menschen, die wirklich schärfer gestellte Antennen für ihre Umwelt haben, aber auch für die eigene Gefühlswelt. „Hochsensible Menschen nehmen Reize, positive wie negative, intensiver wahr als normsensible Menschen. Die Grenze zwischen feinfühlig und überempfindlich ist schmal.“, bestätigt Katharina-Sophie Rohlfing, Psychologin und Psychologische Psychotherapeutin für Verhaltenstherapie und Trainerin & EAP-Beraterin bei INSITE.

Der Ausdruck „Hochsensibilität“ geht ursprünglich auf Forschungen der US-Psychologin Elaine Aron und dem US-Psychologen Arthur Aron und den Begriff „Highly Sensitive Person“ zurück, 1997 erstmals von ihnen beschrieben. Seitdem beschäftigt sich die Wissenschaft zunehmend mit dem Thema, zum Teil sehr kontrovers. Dennoch ist die Forschungslage überschaubar, wenn es darum geht, zu verstehen, warum manche Menschen so viel sensibler auf Reize reagieren als andere.[1]

Hochsensibilität ist keine Krankheit oder Persönlichkeitsstörung, sondern eine Eigenschaft, die im Alltag Vor- und Nachteile mit sich bringt – wie andere Eigenschaften unserer Persönlichkeit auch.“, so Katharina-Sophie Rohlfing.[2] Vier typische Eigenschaften wurden festgestellt: Hochsensible sind sich umweltbezogener Feinheiten bewusster, sie verarbeiten Informationen tiefer, verfügen über eine erhöhte emotionale Reaktivität sowie Empathie und sind schneller überstimuliert.[3] Die Forschung geht davon aus, dass circa 20 Prozent aller Menschen hochsensibel ist.[4]

Als Antwort auf die Frage, warum dieses Thema zunehmend in den breiten Blick rückt, führt die Katharina-Sophie Rohlfing mehrere Gründe an: „Viele Menschen erleben in unserer sehr wettbewerbsorientierten und sich schnell verändernden Welt das Gefühl der Überforderung. Erklärungen oder sogar eine Diagnose zu haben, warum es mir so geht, helfen beim Umgang und bringen Entlastung. Darüber hinaus erleben wir, dass es zunehmend normaler wird in der Öffentlichkeit über psychische Themen zu sprechen.“ Gelichzeitig verweist die Expertin auch auf die Risiken, die damit einhergehen. „In vielen Büchern oder im Internet finden sich diverse Fragebögen zur Selbstdiagnose von Hochsensibilität. Ob fundiert, ist eine andere Frage.

Auch wenn die Psychologin die Beschäftigung mit sich selbst begrüßt, warnt sie zugleich vor Eigendiagnosen. Denn manche Aspekte von Hochsensibilität (wie etwa die verstärkte Wahrnehmung von Sinnesreizen oder eine depressive Verstimmung) können im Zusammenhang mit psychischen Problemen auftreten. Und hier ist professionelle Expertise gefragt.

Wie nun einen förderlichen Umgang finden? Solide Informationen helfen. Sich selbst besser zu verstehen, zu wissen, welche Situationen und Einflüsse besonders herausfordernd erlebt werden, um belastende Reize gezielt zu minimieren oder möglicherweise ganz zu vermeiden, sind elementar. Auch das Hinterfragen automatisierter Reaktionsweisen oder von Denkmustern in Anbetracht des Gefühls von Hilflosigkeit ist ein wichtiger Ansatz. Professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen ist vorteilhaft. Man kann Strategien entwickeln, wie man dem Umfeld auf eine bekömmliche Weise zu verstehen gibt, was man braucht. Für das Umfeld wird es dann leichter, angemessen in Situationen zu reagieren und nicht mit Flapsigkeit oder Genervtheit zu reagieren.

Zwar sollte ein respektvoller Umgang miteinander eine Selbstverständlichkeit sein, doch manchmal braucht es eben eine klare Intervention vom Gegenüber.

 

 

 

 


[1] Mit feinem Gespür (swisshealthweb.ch) – zur Auseinandersetzung mit dem Begriff

 

[2] Wie Menschen mit Hochsensibilität ihr Leben gestalten können (aok.de)

[3] Hochsensibilität | Gesundheitsportal

[4] Interview mit Prof. Corina Greven im swr: Hochsensibilität/HSP: Überempfindlichkeit oder Feingefühl? - SWR1 Leute - SWR1 Prof. Greven hält einen Lehrstuhl in „Environmental Sensitivity“ am Radbound Universität Medical Centre in den Niederlanden.