Psychische Belastungen am Arbeitsplatz sind kein Randthema mehr – sie begegnen uns täglich. Mal laut, mal leise, oft schleichend. Und gerade als Führungskraft ist man manchmal die erste Person, der auffällt, dass etwas aus dem Gleichgewicht geraten ist.
Ein Mitarbeiter wirkt in letzter Zeit unkonzentriert, sagt häufiger Termine ab, ist in Meetings stiller als sonst oder reagiert ungewohnt gereizt. Und dann steht sie im Raum, diese diffuse Frage:
„Soll ich etwas sagen – oder halte ich mich besser zurück?“
Führung hat mit Haltung zu tun, nicht mit fertigen Antworten
Vorweg: Niemand erwartet von Führungskräften, dass sie psychische Krisen „erkennen“ oder gar „lösen“. Dafür gibt es Fachleute. Es geht hier viel mehr um die Haltung: aufmerksam, respektvoll, zugewandt.
Das bedeutet:
Nicht diagnostizieren – aber hinsehen.
Nicht therapieren – aber ansprechbar sein.
Nicht übergriffig – aber auch nicht gleichgültig.
Führung beginnt oft dort, wo Klarheit und Menschlichkeit aufeinandertreffen.
Woran man Belastungen erkennen kann – ohne sich zur Diagnose verleiten zu lassen
Psychische Belastungen zeigen sich nicht einheitlich. Es gibt keine „Checkliste“, die zweifelsfrei sagt: Da stimmt was nicht. Aber es gibt Anzeichen, auf die man achten kann:
- Rückzug aus der sozialen Interaktion
- Auffällige Schwankungen in Stimmung oder Leistung
- Verändertes Kommunikationsverhalten (ungewohnt gereizt, schweigsam, überfordert)
- Vermehrte Fehler, Konzentrationsprobleme
- Körperliche Signale (ständige Müdigkeit, häufige Krankheitstage)
Doch all das sollte nie Anlass für vorschnelle Schlüsse sein. Vielmehr können solche Beobachtungen der Ausgangspunkt für ein behutsames Gespräch sein – nicht über das Problem, sondern über den Menschen.
Wie ein Gespräch gelingen kann – zwischen Führung und Fürsorge
Ein Gespräch über psychisches Befinden ist immer ein Balanceakt. Hier ein paar Gedanken, die helfen können:
- Einen geschützten Rahmen wählen. Kein Flurgespräch, keine Nebensätze im Meeting.
- Aus eigener Perspektive sprechen. Etwa so:
„Ich beobachte, dass du in letzter Zeit oft sehr erschöpft wirkst. Ich weiß nicht, ob das gerade ein Thema für dich ist, aber ich möchte nicht darüber hinweggehen.“ - Keine Vermutungen formulieren. Aussagen wie „Du bist wohl depressiv“ oder „Das sieht nach Burnout aus“ sind unangebracht und übergriffig.
- Unterstützung signalisieren, nicht Kontrolle. Es geht nicht darum, Leistung einzufordern – sondern darum, Sicherheit zu geben.
- Orientierung bieten. Wenn Mitarbeitende reden möchten, kann man gemeinsam überlegen, welche Schritte sinnvoll wären – etwa Kontakt zu einer EAP-Beratung, ärztliche Unterstützung oder eine vorübergehende Entlastung.
Und wenn die Person nicht reden möchte? Auch das ist okay. Dann zählt vor allem eines: Das Gegenüber spüren zu lassen, dass man bleibt – nicht drängt.
Führung bedeutet nicht, die Lösung zu kennen – sondern Halt zu geben
„Führungskräfte müssen nicht alles im Griff haben – aber sie müssen erreichbar sein. Ein ruhiger Satz, eine offene Haltung, ein echtes Zuhören können mehr verändern als zehn Aktionstage. Denn am Ende merken Menschen sehr genau, ob sie als Mensch gesehen werden – oder nur als Funktion.“, erklärt Latifa Baddour, Diplom-Psychologin, Coach und Beraterin.
Natürlich: Führungskräfte sind keine Therapeut:innen. Sie bewegen sich im Spannungsfeld zwischen unternehmerischer Verantwortung und menschlicher Fürsorge. Aber genau deshalb ist es so wichtig, nicht zu individualisieren, was strukturell bedingt ist.
„Wenn im Team regelmäßig Überforderung, Dauerstress oder Erschöpfung auftreten, darf das keine Einzelanalyse bleiben. Dann braucht es auch den Blick auf Arbeitsbedingungen, Kommunikation, psychologische Sicherheit.“, führt Latifa Baddour weiter aus.
Psychische Gesundheit ist kein „Privatproblem“ – sondern Teil von guter Führungskultur.
Gerade in Zeiten von Krisen, Dauerverfügbarkeit und wachsenden Anforderungen ist psychische Gesundheit kein Nebenthema mehr. Und Führung heißt heute mehr denn je: Beziehungen gestalten. Räume schaffen. Zuhören können.
Manchmal ist der wichtigste Satz, den eine Führungskraft sagen kann:
„Ich bin da – wenn du mich brauchst.“